Drei Jahre später

Am 9. September jährt sich der Tod Tamer Alawams bereits zum dritten Mal. 2012 war es, dass wir zusammen nach Syrien gefahren sind, um Material für Tamers Film zu drehen, ein Film über den Krieg in Syrien, über den Anfang der Revolution und den Schritten, die dazu führten, dass landesweit Tausende von Menschen auf die Straße gingen und Freiheit forderten. Freiheit von einem tyrannischen System, in dem die unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen jahrzehntelang mit Angst und Gewalt, mit Versprechen und Drohungen gegeneinander ausgespielt wurden.
2012 war der Krieg in vollem Gange. Nachdem wir im Juli in Idlib Zeugen eines wichtigen Befreiungsschlags der FSA gegen Assads Regime in Maaret El Noman waren, ein kleiner Erfolg, der in den folgenden Tagen mit erbitterten Angriffen des Militärs auf das Wohngebiet der Stadt beantwortet wurde, war unser Ziel Ende August Aleppo, das wirtschaftliche Zentrum Syriens und hart umkämpfter Kriegsschauplatz. Begleitet von der FSA konnten wir zwischen den Linien gehen, konnten miterleben, was Frontkampf, was Häuserkampf bedeutet, konnten die Kooperation aber auch die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Akteuren gegen Assad sehen, von säkularen Gruppen, über Muslimbrüder, Salafisten bis hin zu Kämpfern von Jabhat al-Nusra. Auch diese Realität, das Zusammenschließen und wieder Auseinanderfallen, sollte Thema sein, die unterschiedlichen Interessen und Ziele, Perspektiven und Motivationen.
Vor allem aber sollte es ein Film über das Leben einzelner Menschen sein, über Lebensentwürfe und was aus diesen im Krieg wurde. Ein Mann, der keine Mühe scheut und eine gefährliche und beschwerliche Reise durchs Land auf sich nimmt, weil er eine Frau heiraten möchte, die einige Wochen zuvor mehrmals brutal in ihrem Haus von Shabiha-Milizen überfallen, misshandelt und vergewaltigt wurde. Der Mann kennt sie nicht, weiß aber, dass sie in der syrischen Gesellschaft nicht mehr heiratsfähig wäre. Zwei verwaiste Kinder, die mit nichts in der Tasche versuchen wollen, Verwandte in einer anderen Stadt zu finden. Und ein Soldat, der nachts von der syrischen Armee desertiert, um nicht noch mehr Staatsbürger auf Befehl töten zu müssen, sondern um stattdessen die Zivilbevölkerung gegen eine entfesselte Staatsgewalt schützen zu können. Einige wenige Schicksale von so vielen, ein Ausschnitt des Leids, das Menschen in Syrien täglich er- und durchleben.
Es sollte ein poetischer Film sein, ein Film voller Liebe für Menschen, die Veränderung wollen, die für ihre und die Freiheit aller kämpfen, die Grenzen überschreiten um ein neues Leben zu führen, um eine neue Gesellschaft zu ermöglichen. Doch diese Poesie wurde jäh von der Realität eingeholt. Am 9. September 2012 erlag Tamer Alawam seinen Verletzungen, die er durch einen Granateinschlag am Vortag erlitt. Er reihte sich ein in das Schicksal viel zu vieler Menschen, die laut ihr recht auf Freiheit einforderten, die für die Freiheit aller auf die Straße gingen, die dafür kämpften.
Geblieben sind Tamers Werke, seine Gedichte, Theaterstücke, Essays, ein Roman, seine Filme und sein Lied. Geblieben sind auch Erinnerungen, schöne und schwierige, an einen Menschen, dessen Kopf nur einmal auf eine stärkere Wand traf.