Von Berlin zur türkisch-syrischen Grenze, von Thomas Rassloff

Von Berlin zur türkisch-syrischen Grenze, von Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

(english)

Thomas Rassloff fährt regelmäßig nach Syrien, um aus erster Hand aus Kriegsgebieten wie Aleppo zu berichten und die Öffentlichkeit über das tatsächliche Geschehen auf dem Laufenden zu hlaten. Schon einmal durften wir seine zu Papier gebrachten Erlebnisse zusammen mit seinen Fotos auf actionsyria.org veröffenltichen (Thomas Rassloff – live aus Aleppo, Syrien).

Dieses Mal hat er in einem PKW, gefüllt mit gespendeter Kleidung und medizinischer Ausrüstung, zusammen mit der Journalistin Jenni Roth, unseren Krankenwagen an die syrisch-türkische Grenze begleitet. Hier könnt ihr nachlesen, was passiert ist!

Text und Fotos © 2014 Thomas Rassloff

Von Berlin zur türkisch-syrischen Grenze

Der Plan war, mit 3 Fahrzeugen voll mit Kleidung und medizinischen Gütern sowie 6 Personen Richtung Türkei zu starten, um nach 3 Tagen und ca. 3400 Kilometern dort anzukommen. Aber wie das immer mit Plänen ist, es kommt erstens anders und zweitens als man denkt.

So bin ich am 6.02.2014 in Berlin mit einem PKW Kombi und Jenni (Journalistin) gestartet und am Hermsdorfer Kreuz an der A9 hat sich ein alter Krankenwagen mit zwei Personen dazugesellt. Ein weiterer LKW konnte aus technischen Gründen nicht dabei sein. Leider hat sich meine Hoffnungen, dass ein Krankenwagen ja schnell sein müsse, sehr schnell zerschlagen. Maximal 110 km/h bergab mit Rückenwind waren möglich. Das würde wohl ein paar Minuten länger dauern als geplant.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff 08
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

Also auf Richtung Österreich, wo wir eine erste Übernachtungspause in einer schönen kleine Pension einlegten. Zum Nachteil der Pensionsbetreiberin war es bereits 2 Uhr, also mitten in der Nacht, als wir sie aus dem Bett klingelten. Der Geruch und der Scharm der alten Dame erinnerten mich an die „Bed and Breakfast“ Unterkünfte in Irland und England. Am nächsten Morgen um 7Uhr ohne Frühstück weiter, also nichts mit ausschlafen, da wir noch einige Kilometer schaffen wollten: schnellste Strecke Richtung Ungarn, dort weiter zur serbischen Grenze, so der Plan.

An der ungarisch-serbischen Grenze eine erste Verzögerung. Es sollte eine genauere Kontrolle unserer Wagen erfolgen. Aber leider sollte aus der kleinen Verzögerung ein NO GO werden. Ein serbischer Grenz- bzw. Zollbeamter wies uns in eine kleine Inspektionshalle für PKW, alles auspacken die Anweisung des Beamten. Also alle Taschen und Kisten raus. Dann warten, warten und noch etwas mehr warten. Es schien den Beamten besonders viel Vergnügen zu bereiten, uns warten zu sehen.

Nach gefühlten Stunden zeigte der Beamte erste Anzeichen von Arbeitseinsatz und fing an, Tasche für Tasche zu durchwühlen. Problem, Panzeri, Problem Militarya, … damit war meine Schutzweste gemeint. Dann folgten die Kisten mit den medizinischen Geräten und Tools … die Augen wurden immer größer und das Kopfschütteln auch. Mehr und mehr fanden sich weitere Beamte ein. Zum Glück verstehe ich kein Serbisch, aber die Worte Panzeri, Al Qaida, Terror und Heroina waren klar vernehmbar.

Zur gleichen Zeit wurde das andere Auto durchsucht und nach ewigem hin und her wurde uns erklärt, dass wir Serbien nur durchfahren dürften, wenn wir einen serbischen Grenzbeamten mitnehmen würden, bis wir das Land verlassen hätten. Diese sollte sicher stellen, dass keine militärischen und medzinischen Güter in Serbien ausgeladen würden. Das wäre vielleicht so noch machbar gewesen, aber leider sollte wir zusätzlich 280 Euro zahlen, damit der Beamte dann wieder zurückfahren könnte.

Es dauerte keine 5 Minuten bis wir beschlossen hatten, dann eben nicht durch Serbien und dafür über Rumänien zu fahren. Also wenden und noch ein paar Kilometer mehr durch Ungarn.

Rumänien

An der ungarisch-rumänischen Grenze stieg etwas Hoffnung auf, dass wir vielleicht etwas später als geplant ankommen würden, aber dennoch mehr oder weniger den Zeitplan einhalten könnten. Denn nicht nur dort, auch an allen anderen innereuropäischen Grenzen gab es nur kurzzeitige Passkontrollen oder man wurde einfach durchgewunken.

Zwischen der ungarischen und der rumänischen Grenze gestikulierte ein Mann wild umher. Zivilbeamter? Zöllner? Vielleicht doch eine Kontrolle oder ein Problem? Kein Plan, Fenster runter hat auch nicht geholfen, da Ungarisch nicht zum meinem Sprachumfang gehört. Aber der wollte nicht aufhören, bis wir begriffen, dass der Typ die Mautplakette aus Österreich haben wollte. Hat er auch bekommen, da kein weiterer Bedarf bestand.

Ich liebe Europa und hasse schlechte Straßen und von denen gibt es in Rumänien leider mehr als genug – leider auch keine Autobahnen. Schnell wurde klar – das dauert nun doch etwas länger.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Bis tief in die Nacht tuckerten wir über kleine Landstraßen, bis wir in die Berge kamen. Das Gebirge, der Mond, der Schnee, die verlassenen menschenleeren Ortschaften hätten eine gute Kulisse für einen Horrorstreifen geboten. Was aber wirklicher und realer Horror war, war das Fahrverhalten der einheimischen LKW- und PKW-Fahrer: Überholen in zickzack-Kurven ohne Sicht auf den Gegenverkehr, Schneiden von Kurven in engen Bergpassagen, sowie plötzliches Rückwärtsfahren oder Überqueren bzw. Einbiegen auf die Hauptstraße. Dass wir da ohne einen Verkehrsunfall durchgekommen sind, gleicht einem Wunder.

Auch in Rumänien mussten wir eine Bleibe für eine Nacht suchen, aber aufgrund unserer langen Fahrt waren unsere Ansprüche nicht mehr all zu hoch. Die erstbeste Gelegenheit wurde ergriffen und obwohl das „Trinkwasser“ nach Abwasser gerochen hat und die Bettwäsche geschätzte zwei Wochen von diversen Gästen genutzt und nicht gewechselt wurde, blieben wir. Aber duschen und Zähne putzen wurde aus diversen Gründen auf später verschoben. Mein persönlicher Anspruch auf Hygiene und Lebenskomfort ist selten so schnell gesunken.

Den Kaffee am nächsten Morgen verschoben wir auf eine Tankstelle, da wir eh noch tanken wollten. Als mein Tank voll war, begab ich mich an die Kasse um zu zahlen. Die Frau hinter der Kasse sagte aber nur: „NO CARD!“. Sie schrieb mit Stift 80 Euro auf einen Zettel. Zum meinem Nachteil hatte ich nur noch 50er und 100er, also gab ich ihr 100. Zurück gab sie mir einen Kassenbon, auf dem stand:“271,30 bezahlt, 300 gegeben, Rückgeld 28,70″. Bei einem Kurs von 100 euro = 450 Lei hat die gute Frau ein ordentliches Trinkgeld (150 Lei) einbehalten. Scheiße gelaufen, aber das kommt davon, wenn man kein Rumänisch spricht und nicht nachfragen kann, was das soll. Oder einfach immer genug Landeswährung dabei haben und sich nicht blind auf EC-Karte, VISA und EURO verlassen.

Aber man darf nicht vergessen, dass wir durch total schöne Landschaften fahren und in Regionen kommen, die wir nie zuvor gesehen haben.

Bulgarien

Die Passage von Rumänien nach Bulgarien verlief genauso entspannt und schnell, wie zuvor, nur dass die Landschaft (Donau) abgefahren schön war. Nach den endlosen Landstraßen in Rumänien bot Bulgarien zumindest teilweise Schnellstraßen und Autobahnen. Jahreszeitlich bedingt war aber unsere per Navi geplante Strecke etwas zu stark verschneit und vereist. So beschlossen wir über Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste zu fahren, auch um dort noch ein paar benötigte Dokumente auszudrucken und E-Mails zu checken.

Varna beeindruckte durch real sozialistische Plattenbauten und zwei riesige post-sozialistische Shoppingmalls. Die Suche nach einem geeigneten Parkplatz für unsere nicht ganz kleinen Wagen brachte uns auf einen bewachten und eingezäunten „Bezahlparkplatz“. Ohne nach einem Verantwortlichen zu suchen oder zu warten, parkten wir. Aus einem kleinen, mit Ofen beheizten Wachhäuschen stieg ein älterer Mann. In fließendem Bulgarisch erzählte er uns etwas, aber keiner von uns verstand nur ein Wort.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

Nach einigem Bulgarisch – Englisch – Russisch – Deutsch hin und her war klar: eine Stunde kostet 1 bulgarischen Lew. Wir vermittelten Ihm, dass wir nur für 10 Minuten parken wollen. Ich gab ihm 20 Lew um ihm zu zeigen, dass wir auf jeden Fall bereit waren zu bezahlen, aber er redete weiter, obwohl ihm klar geworden sein sollte, dass wir nix verstehen. Wir schenkten dem nicht mehr so viel Aufmerksamkeit und mit dem wiederholenden Verweis auf die 10 Minuten gingen wir zur Shoppingmall.

Die erste Shoppingmall erwies sich als totaler Flop: keine Möglichkeit zu drucken und kein Fotoladen, denn ich wollte noch ein paar Fotodingens kaufen. Aber zumindest gab es genug Personal mit Englischkenntnissen, die uns zur anderen Mall weiterempfahlen. Zurück am Parkplatz wurden wir schon mit einem freundlichen Lächeln und vielen nicht zu verstehenden Worten erwartet. Der Wächter des Parkplatzes gab mir das Wechselgeld, ich erwartete 18 Lew zurück, mir wurden aber nur 15 gegeben. Als ich vom Wechselgeld in meiner Hand fragend in die Augen des alten Mannes blickte, sagte der mit einem erschlagenden Lächeln: “Kaputt …“. Ich verstand nicht, er wiederholte: „Bulgaria kaputt …“. Ok, kein Problem.

Seine äußere Erscheinungsform schien mir nun wie ein Abbild dieses Landes. Seine letzten verbliebenen Zähne wirkten wie die letzten Überbleibsel des gescheiterten Sozialismus. Sein Scharm und seine Freundlichkeit könnten für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft stehen.

Mit ein paar flotten bulgarischen Sprüchen winkte uns er uns beim Herausfahren zu und wir suchten uns einen Weg zum anderen Einkaufstempel. Dort konnte ich dann auch meinen Kleinscheiß kaufen und nutzte die Gelegenheit und die Freundlichkeit das Verkäufers, um an unsere Ausdrucke zu kommen. Mit neuen Fototeilen und bürokratischen Schreiben ausgerüstet machten wir uns nun voller Hoffnung auf den Weg zur türkischen Grenze.

Grenze Bulgarien / Türkei

Die letzte Ortschaft vor dem Grenzübergang nutzten wir noch, um unsere Tanks zu füllen, denn in der Türkei sind die Spritpreise bei weitem höher als in jedem anderem Land der bisherigen Reise. Mein Navi wies uns den Weg, doch plötzlich überkamen mich Zweifel, ob dieser kleine Weg wirklich zu einer Grenze führen sollte. Doch eine Nachfrage bei am Straßenrand stehenden Spätkaufgästen bestätigte die Richtung des Navis.

Eng und klein war die Straße, fast wie ein etwas zu breit geratener Fahrradweg, von dichtem Wald umgeben, stockfinster, kein Gegenverkehr, kein Fahrzeug vor uns und keines hinter uns. Spooky!!! Bitte keine Autopanne!

Doch dann nach ewigen Minuten etwas Licht am Ende des Waldes und da stand er, der bulgarische Grenzposten. Etwas verlassen wirkte das Ganze unrealistisch. Aber die Grenzkontrollen der Bulgaren verlief erwartungsgemäß schnell und unkompliziert. OK. Dann zur türkischen Passkontrolle. Erste Kontrolle sitzend im Auto ok, dann zur Gepäcküberprüfung und Visastempel. Meine Mitfahrerin und ich hatten schon unsere Visastempel.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Doch unglücklicherweise tauchte ein höherer Beamter aus dem Dunkel auf und versuchte uns auf Türkisch zu erklären, dass der Krankenwagen die Grenze hier nicht passieren darf, denn dies sei ein reiner Personengrenzübergang und der Wagen dürfe nur an einem bestimmten Übergang in die Türkei einreisen. Also Visastempel wieder entwerten lassen und zurück nach Bulgarien. Nur dass die gleichen Beamten, die uns so schnell ausreisen ließen, nun nicht mehr so schnell rein lassen wollten – was für Armleuchter.

Einen Teil der gefahrenen Strecke wieder zurück und dann zum anderen Grenzübergang. Gleiches Spiel von vorn und mit dem Spruch „Doppelt hält besser!“ stehen wir bei der türkischen Gepäckkontrolle und hören ein 2. Mal: „Dies ist nicht der richtige Übergang, ihr müsst zurück und zu einem anderen.“ Also noch einmal zurück nach Bulgarien, dort schaute uns ein Grenzbeamter an und fragte: „How are you?“ und wir: „Oh we took the wrong border crossing“ und ohne ein weiteres Wort ließ er uns passieren.

Und ein weiteres Mal, nun der dritte Anlauf, völlig übermüdet und genervt. Auch hier schnell aus Bulgarien raus und wieder eine Ewigkeit an der türkischen Gepäckkontrolle. Nun wurde den beiden vom Krankenwagen erklärt, wie der Hase läuft und welche Formulare sie bei welcher Behörde noch beantragen müssen. Dann war unser Auto dran und wir erklärten, dass wir zwar zusammen fahren würden, aber dass wir beruflich als Journalisten einreisen wollten.

Unser Fahrzeug sollte in eine Untersuchungshalle fahren, um unser Gepäck und den Wagen zu checken. Böse Erinnerungen an die Serben machten sich breit. Wir hatten schon einen Großteil der Kisten und Taschen ausgepackt, gleichzeitig wurden diese und unser Auto durchsucht. Davor, während dessen und danach wurde auch noch fleißig telefoniert. Ich staunte nicht schlecht über so viel Arbeitseinsatz, nachts um 2.

Dann sollte eine Tür geöffnet werden und meine Kollegin fragte nach dem Autoschlüssel. Ich legte ihn unter die Kofferraumtür, sie nahm ihn von dort. Die Durchsuchungen und parallelen Telefonate wollten nicht enden.

Dann ganz unerwartet sagte ein älterer Beamter: „You can go!“, wir erhielten einen speziellen Pincode-Aufkleber, für eine weitere Schranke. Ok. Gepäck in den Kofferraum, Klappe zu und los.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

Wo ist der Schlüssel ???

Meine Kollegin zeigt nur mit einer kleinen Verzweiflung in ihrem Gesichtsausdruck auf den Kofferraum. Dummer Weise hatte sie vorne dank Zentralverriegelung wieder abgeschlossen. Gut, wir dürfen trotz einiger Schwierigkeiten, Hürden und Probleme einreisen und jetzt sind wir so blöd und schließen uns aus dem eigenen Auto aus.

Ein paar zaghafte Versuche, etwas an der Tür rütteln und an den Scheiben drücken führte zu keinem Erfolg. Grenzbeamte zu fragen, ob sie für uns das Auto aufbrechen, schien uns unangebracht. Unsere Begleitung war schon im Hotel und würde wohl mit der Hoffnung einschlafen, am nächsten Morgen die nötigen Papiere zu bekommen. So waren wir auf uns allein gestellt.

Das Auto war alt, zerkratzt und hatte in Syrien bestimmt kein langes und nutzreiches Dasein vor sich, dachte ich in dem Moment, als ich die hintere Beifahrertürscheibe einschlug, dann machte ich mir noch kurz Gedanken, was wohl die Grenzbeamten denken und sagen, wenn sie sehen, wie wir unser eigenes Auto aufbrechen? Dann brauchte ich noch einen Moment um an die Kofferraumverriegelung zu kommen und diese zu entriegeln.

Geschafft – nix wie weg, bevor noch ein Grenzbeamter auf die Idee kommt, dass vielleicht doch ein Grund vorliegt, dass wir nicht einreisen dürften.

An der nächst größeren Raststätte mussten wir versuchen, das Fenster irgendwie wieder dicht zu bekommen. Nur konnten wir weder Türkisch noch konnte irgendwer Deutsch oder Englisch. Doch irgendwie schaffte es meine Mitfahrerin, einen etwas älteren und rundlichen Busfahrer auf unser Problem aufmerksam zu machen. Ein jugendlicher Restaurantmitarbeiter in seinem Windschatten wurde etwas auf Türkisch gesagt und der Fahrer ging wieder zu seinem Bus. Einige Augenblicke später stand der junge Mann mit Klebeband und Pappe vor uns, wusste aber nicht so richtig was er tun sollte. Ich war auch unsicher, aber so wie der Busfahrer gekommen war, klare Ansagen gemacht hatte und wieder davon ging, als ob das Problem damit gelöst sei, musste das so sein.

Nur wie? Kurz und schmerzlos, die zerstörte und eingedrückte Scheibe raus und die Pappe zurechtschneiden, Tür auf, Pappe zwischen Tür und Rahmen und Tür zu. So weit, so gut. Die abstehenden Reste wegschneiden und von innen mit Klebeband abdichten. Geht doch ganz einfach.

Türkei

Jetzt waren es noch 1300 Kilometer, die wir schaffen mussten. Mit etwas Hoffnung und Energie ging es auf einer türkischen Autobahn nach Istanbul. Wir einigten uns darauf, noch durch Istanbul durchzufahren, um den Stau der Metropole zu vermeiden. Schnell und sicher passierten wir diese riesige Stadt, erst einige Kilometer später versuchten wir eine Unterkunft zu finden.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
In der ersten Stadt wollte der Hotelbesitzer ernsthaft 200 TL, ca. 90 Euro, was wir beide ablehnten. So beschlossen wir, weiter auf einer Landstraße zu fahren, bis wir ein Hotel finden würden. Nur zwei Ortschaften weiter hatten wir Erfolg, ein schönes, neues und sauberes Hotel schien die beste Lösung. Es war ca. 9 Uhr und nach all dem Stress brauchten wir dringend etwas Schlaf in einem richtigen Bett. Der junge und nette Mann an der Rezeption konnte glücklicherweise auch etwas Englisch, was leider eine Seltenheit in der Türkei ist, und bot uns jedem ein Einzelzimmer für 70 TL an – da konnten wir nicht nein sagen, auch wenn wir noch 30 Minuten auf die Zimmerreinigung warten mussten.

Ab ins Bett. Eingeschlafen und etwas später durch das Hoteltelefon geweckt. „Was soll denn das?“, dachte ich noch und hob den Hörer und verstand nur Polis. Ähm … mir wurde etwas mulmig in der Magengegend, vielleicht gab es ja nun doch ein ernsthaftes Problem. So ging ich mit einem schlechten Gefühl zur Rezeption. Nun erklärte mir der Hotelmitarbeiter in gutem Englisch, dass ich doch bitte mein Auto umparken solle. Mehr nicht? Und was hatte das mit der Polizei zu tun? Mit einigen Fragen und viel zu müde ging ich wieder auf mein Zimmer und in mein schönes warmes Bett und schlief sofort wieder ein. Um nicht wenig später durch Trommeln und Trompeten geweckt zu werden. Ich schaute aus dem Fenster und, oh nein, eine Hochzeit oder irgendeine Feier. An Schlaf war nicht mehr zu denken.

Polizei war auf dem Parkplatz und Erdogan-Transparente sowie einige AKP-Sprüche wurden aufgehängt. Hochzeit? Parteifeier? Wen interessiert das schon. Wir packten unsere Sachen zusammen und fuhren auf unsere hoffentlich letzten 800 Kilometer nach Hatay.

yrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

Einen kleinen Zwischenfall gab es dann noch, denn unser Tank war fast leer und wir waren schon eine Weile auf der Suche nach einer Tankstelle. Ein großes Autobahn-Hinweis-Schild verriet uns, dass es in 2000 Metern eine Raststätte gibt. Wir also da rausgefahren, aber leider waren da nicht mehr als ein paar Sandhaufen. Weiter mit der Suche, schon in Gedanken ausgemalt, wie wir ohne Benzin auf einer verlassenen Autobahn stehen und uns keiner versteht. Also nächste Ortschaft raus und zur erstbesten Tankstelle, der Typ fragt nur: „Benzin?“, wir ja, er: „Jok Benzin“ – heißt kein Benzin da! Ach du Sch… – wie oft habe ich das in den letzten Tagen gedacht oder gesagt? Aber der Mann war nicht blöd, nein sehr freundlich und hilfsbereit und erklärte uns, an welcher Tankstelle es noch Benzin geben würde, und er hatte Recht.

Die letzten Kilometer und dann waren wir in Hatay und zum Glück fand ich auch gleich den Weg zu dem Hotel, wo ich schon letzten Sommer war. Es ist auch einfach nur schön, wenn Dinge funktionieren und klappen. Nur der Krankenwagen hängt immer noch an der bulgarisch-türkischen Grenze, Stand 10.02.2014, 23.06.

Hatay

Die wichtigsten Klamotten ins Hotelzimmer schleppen, da das Auto wegen der zerbrochenen Scheibe nicht mehr sicher ist. Dann erstmal pennen.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff

Am nächsten Morgen war ich mit meiner Kollegin am Frühstücksbuffet verabredet, dort wurde ein grober Plan gefasst. Das wann-was-mit wem-Spiel. Und es wurde wirklich mehr als ein Lottospiel. Den ganzen Tag über riefen irgendwelche Leute an, die von dem Ahmed oder dem Mohammed unsere türkische Nummer hatten und uns helfen wollten. Bei was auch immer, wir wählten einen der relativ gutes English sprach und sagten ihm, er solle zum Hotel kommen, da wir uns in der Stadt nicht auskennen. Eine gewisse Zeit später war er da, aber nicht allein. Sicherheitshalber hatte er gleich einen Freund mitgebracht. Der Freund ganz schick mit Anzug und Aktenkoffer und etwas zu viel Gel im Haar. Wir erklärten den beiden, dass wir zur Grenze wollen, dass aber nur für eine Person Platz im Wagen sei. So war Herr Anzug – Gelhaar aus dem Rennen.

Nun mussten wir mit unserem Dolmetscher den Preis aushandeln, was er genau bekommen sollte für sein Dienstleistung. Da ich schon aus früheren Reisen und Erfahrungen wusste, dass das sofort geklärt werden muss, weil man sonst böse Überraschungen erlebt. Das Spiel um den Preis funktioniert je nach Teilnehmer und Situation unterschiedlich, aber die Grundregeln sind: der Fixer bzw. Dolmetscher will einen Höchstpreis erzielen und der freie Journalist so wenig wie möglich zahlen. Dann kommen Fragen wie wie viel und für wie lange, die Gegenseite will einen 24 Stunden Tagessatz oder manchmal auch nur eine Pauschale. Wir versuchten den Bogen zu machen und boten Stundenlohn an, da wir ja nur kurz zur Grenze wollten und uns nicht einleuchten wollte, dass wir für 24 Stunden zahlen sollen. Irgendwie haben wir es geschafft, 15 Dollar pro Stunde auszuhandeln.

Also ab zum Grenzübergang, um zu schauen, was so los ist und einen Eindruck von der Situation zu bekommen. Auf dem Weg etwas mit dem Fixer geredet und versucht auszuloten, ob er uns auch noch bei anderen Interviews und Fahrten behilflich sein könnte. Er sollte ein Interview mit einem FSA Kommandeur in die Wege leiten, erzählte aber, dass sein Wohnort 3 Stunden entfernt sei. Auf die Frage, wie weit das Flüchtlingscamp sei, antwortete er auch mit einer Entfernungsangabe, die uns nur noch mehr in Staunen versetzte.

Auch beim Dolmetschen an der Grenze und seinen Erklärungen zur aktuellen Lage, wurde zumindest mir klar, dass da was nicht stimmt. So beschlossen wir, direkt ins Hotel zurückzufahren und seine Angaben zu überprüfen und sagten ihm, wir müssen unsere Daten bearbeiten und würden uns melden, wenn wir ihn brauchen. Als er aus dem Auto ausstieg, fragte ich wie viel er jetzt genau bekommen würde, und wollte schon ein paar Dollars rüberreichen. Doch auf einmal behauptete der Typ, er mache nur einen Scherz und wolle gar kein Geld. Sehr seltsam das Ganze, also beschlossen wir den Typen schnell los zu werden. Und zurück zum Hotel um zu checken, was mit den anderen ist. Feras, ein Syrer, sollte irgendwann per Flieger in Hatay eintreffen und der Krankenwagen sollte ja auch irgendwann mal losfahren dürfen.

Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Syrian Border © 2014 Thomas Rassloff
Für den nächsten Morgen verabredeten wir uns mit Feras, der irgendwann in der Nacht in Hatay angekommen war. Mit ihm und einem anderen syrischen Freund fuhren wir zu Abu Obaida, einem FSA Kommandeur, den ich seit Dezember 2012 kenne. Dieser hatte mir in der Vergangenheit bei meinen Syrienaufenthalten gute Fototermine verschafft. Jenni wollte ein ausführliches Interview zur aktuellen Lage und außerdem wollten wir ihm ein paar Kisten mit medizinischem Material übergeben. Der Kommandeur wurde vor einigen Wochen von ISIS / Al Qaida verhaftet und mehrere Tage verhört und festgehalten. So waren wir uns sicher, dass die Hilfsgüter in den richtigen Händen waren und er versicherte uns, diese an das Krankenhaus in Aleppo Ansari zu liefern.

Im Laufe der folgenden Nacht erreichte auch der Krankenwagen Hatay.

Auf die Erfahrung und das Wissen unserer jungen syrischen Bekannten zu vertrauen ist immer etwas schwierig. Irgendwie hat jeder eine andere Meinung, wie man am besten die Grenze passieren sollte bzw. könne. Ein spontane Entscheidung unsererseits führte uns direkt nach Bab al Hawa, die türkisch-syrische Grenze. Zu meiner Enttäuschung durfte ich mit meinem PKW nicht passieren. Aber zum Glück und nach langem hin und her konnte der Krankenwagen in den Kontrollbereich.

Während wir auf die Rückkehr unserer Fahrerin warteten, konnten wir ein schwere Explosion hören. Wahrscheinlich einige Kilometer entfernt, aber dennoch waren wir froh nicht dort zu sein. Nach einiger Zeit kehrte Vanessa zurück, Feras war nun mit dem Krankenwagen auf dem Weg nach Aleppo. Jetzt mussten wir noch eine Lösung für den PKW finden.

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